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Bericht

Name des Laufes:9. Skyrace Internazionale Valmalenco Valposchiavo
mehr zum Lauf: VID11294
Datum des Laufes:13.6.2010 (Sun)
Ort:Valmalenco (I) Valposchiavo (CH)
Plz:CH
Homepage:http://www.international-skyrace.org
Strecken:31k
Beschaffenheit:sehr technisch
Profil:ca. 3650 HM im Auf- und Abstieg
Wetter:bewölkt, kein Regen
Teilnehmer:ca. 400
Name des Berichtenden:Frank Richter
(Autor-LID zuordnen: Login und [Edit])

Bericht vom 11.1.2012 (Wed)
Skyrace Internazionale Valmalenco – Valposchiavo am 13.06.2010

Wem der Deisterparklauf nicht crossig genug, der Deisterberglauf zu kurz und der Steinhuder Meer-Lauf zu flach ist, dem sei hier eine Kombination aus allem der etwas härteren Art empfohlen: Das Skyrace Internazionale Valmalenco – Valposchiavo; sehr crossig, sehr bergig und so lang wie der Steinhuder Meer-Lauf.
Die Strecke geht über 31 km auf einem historischen Schmugglerpfad vom italienischen Lanzada über den Campagnedapass bis ins schweizerische Poschiavo. Die Höhendifferenz beträgt 3650 m, davon 1850 m bergauf und 1800 m bergab.
Im vergangenen Jahr bin ich im Internet auf der Suche nach einem interessanten Berglauf vor großartiger Landschaftskulisse zufällig auf diesen Lauf gestoßen. Ein Bericht des Online-Laufmagazins „laufreport.de“ machte mich neugierig. Schnell die Ergebnislisten der vergangenen Jahre durchgegangen, um zu sehen, was man hier bringen muss, um vorne mit dabei zu sein. Um die 2:35 Stunden laufen hier die Besten, abhängig von der Witterung. Naja – für 31 km ganz o.k., aber auch keine besonders dolle Zeit, dachte ich mir. Muss wohl am bergigen Gelände liegen. Also noch mal eine Stunde drauf gepackt, dann wären das 3:35 Stunden – das sollte ich doch wohl schaffen. Kurzerhand habe ich gleich für den 11.06.2010 einen Billigflug nach Zürich gebucht und ein Hotelzimmer in Poschiavo reserviert. Der Rest wird sich dann schon finden.
Der Abreisetermin rückt näher. Wie komme ich eigentlich von Zürich nach Poschiavo? Na klar, mit der Bahn. Von der SBB gibt es das „Swiss-Transferticket“ für eine Hin- und Rückfahrt von der schweizerischen Grenze bzw. vom Flughafen bis zu einem beliebigen Reiseziel in der Schweiz für umgerechnet 82 Euro. Zwar teurer als der Flug, aber dafür kriegt man auch viel mehr Reisezeit und Landschaft fürs Geld. Die 5-stündige Weiterreise – ab Chur auf der historischen Albula- und Bernina-Linie - ist landschaftlich so spektakulär, dass man sich gar nicht sattsehen kann. Und das Ganze kriegte ich bei strahlendem Sonnenschein serviert. Das fing ja schon mal gut an – so kann es weitergehen.
Den Samstag nutze ich zum Akklimatisieren, 15 km zügiges Wandern gönne ich mir, um mich an die Höhenluft zu gewöhnen. 1000 m hoch liegt Poschiavo. Ich merke, dass der Puls schneller hoch geht.
Am Abend habe ich dann tatsächlich Walter und Constanze Wagner vom „laufreport.de“ getroffen, die im gleichen Hotel wie ich abgestiegen sind und auch in diesem Jahr vom Lauf berichten wollten. Ich gebe mich als Teilnehmer zu erkennen und darf mich beim Abendessen an ihren Tisch setzen. Markus Pingpank kannten Sie auch. Was der eigentlich macht, war ihre Frage. Meine Antwort: Laufen, aber vor allem laufen lassen.
Am Sonntagmorgen war für mich um 5 Uhr die Nacht zu Ende. Ein Blick aus dem Fenster – zum Glück trocken und aufgelockerte Bewölkung. Schnell in die Laufklamotten und eine Banane mit ´nem halben Liter Aktiv 3 gefrühstückt – die Hotelküche hat noch zu. Um 6 Uhr fährt uns - die wir einen Platz vorreserviert hatten - ein rumpeliger Kleinbus über Tirano und Sondrio ums Bergmassiv herum ins Nachbartal, das italienische Valmalenco. Eine kurvenreiche Fahrt, aber die Banane und das Aktiv 3 sind dringeblieben.
Um 7.15 Uhr waren wir da. Die Ausgabe der Startunterlagen klappte problemlos. Ich wollte mich beim Lauf mit möglichst wenig Gepäck abschleppen und hatte daher – weil als obligatorische Ausrüstung ein Wind- und Wetterschutz mitgeführt werden musste - einen Windbreaker Marke „Nike-Golf“ dabei. Den habe ich mir hinten in die Laufhose gestopft, damit er schön eng am Körper anliegt und nicht rumschlackert. Die anderen, zumeist Italiener, hatten Stöcke, Rucksäcke, Trinkgürtel, Mützen, Sonnenbrillen und zum Teil Wechselwäsche dabei. Sollte ich die vor mir liegende Aufgabe und die Rahmenbedingungen etwa falsch eingeschätzt haben?
Für 8.30 war der Start angesetzt. Das Thermometer zeigte bereits 20 Grad. Mit meiner Minimalausrüstung habe ich mich frech nach vorne gestellt, um mir auf dem ersten Kilometer eine gute Position für den dann folgenden Pfad zu sichern, wo man nicht überholen kann – so meine Überlegung. Überholen? Nach diesem ersten schnellen Kilometer durch den Ort (schon ziemlich steil bergauf) und dann weiteren 2 km Steilhang auf dem matschigen und steinigen Waldpfad war ich so platt, dass meine Gedanken fortan ausschließlich dem „nicht überholt werden“ galten. Nach 40 (!) Minuten war bei km 5 der erste Verpflegungspunkt erreicht.
Den wollte ich nach meiner „Renntaktik“ eigentlich auslassen. Stattdessen bin ich stehengeblieben und habe 2 Becher Iso runtergestürzt.
Meine Oberschenkel schienen nur noch aus Laktat zu bestehen und meinen Puls schätze ich auf 180 (Die Batterie im Pulsmesser hatte mal wieder zum falschen Zeitpunkt den Geist aufgegeben). 700 Höhenmeter waren schon überwunden auf diesen ersten 5 km. Noch 15 km und weitere 1100 Höhenmeter bis zum Pass – angesichts dieser Aussichten schossen mir kurz Gedanken ans Aufgeben durch den Kopf. Nein, aufgeben geht gar nicht, dafür hatte ich überall schon den Mund zu weit aufgerissen mit meinem Berglauf…
Im Gänsemarsch ging es den Steilhang weiter bergauf. Nach 1 km folgte ein flacheres Stück, wo Laufen grundsätzlich möglich gewesen wäre. Grundsätzlich... Es ging nur irgendwie nicht. Noch nie habe ich nach nur 6 km (= eine popelige Maschseerunde!) bereits die ersten Anzeichen von Krämpfen gehabt und war der Erschöpfung so nahe. Von hinten nähert sich eine Frau. Die kann und will ich nicht überholen lassen. Also Zähne zusammengebissen und lockeres Laufen vorgetäuscht. Na bitte - geht doch!
Es folgten 2 km schmaler Saumpfad bergab. Links die Steilwand, rechts der Abhang. Da das Feld von hinten drückte, waren jetzt Gemsenfähigkeiten gefragt und vollste Aufmerksamkeit gefordert. Laufen und Springen in halsbrecherischem Tempo über kleinere Felsblöcke und Sturzbäche inbegriffen. Bloß kein Fehltritt! Am darauf folgenden steilen Bergaufstück (wieso bin ich eigentlich 100 Höhenmeter runtergelaufen, wenn ich sie dann gleich wieder hoch laufen muss?) habe ich die „Wahnsinnigen“ vorbeigelassen und bin gegangen, bis es wieder leicht bergab ging.
Gibt es im Raum Hannover eine Laufstrecke, wo man auf 1 km Distanz über 200 Höhenmeter überwinden muss? Nein! Aber hier - und sie lag direkt zwischen mir und dem nächsten Verpflegungspunkt. Ein Trost blieb – die eben vorbeigelassenen Irren konnten auch nicht mehr und gingen ebenfalls wie die Zombies den Pfad hoch. Am Verpflegungspunkt Alpe Musella bei km 11 auf 2000 m angekommen, habe ich mir erstmal das ganze Sortiment gegriffen: Orangen- und Bananenstücke, Trockenpflaumen, Rosinen, Schokolade und ein Stück cantucciniähnlichen Hartkuchen, der nicht rutschen wollte. Auch zwei Becher Iso halfen nicht beim Runterspülen. Ich stand hier gefühlte 5 Minuten, bis sich der klebrige Klumpen im Mund langsam löste.
Ein liebliches Hochtal mit rauschenden Bächlein und mit Enzian übersäten Wiesen öffnete sich jetzt vor mir. Braune Kühe grasten und glockten. Gerne hätte ich mich hier ins Gras gelegt und in den blauen Himmel starrend ein wenig verweilt: Kinder, ist das Leben schön, ohne ins Büro zu gehen. Aber da war doch noch was? Richtig, noch 9 km bis zur Passhöhe und 600 Höhenmeter. Aber da es jetzt erstmal wieder 100 Höhenmeter runter ging, waren es dann wieder 700 Höhenmeter.
Die Baumgrenze lag hinter mir, ein Pfad war nicht mehr erkennbar. Überall standen Helfer, die den wankenden Gestalten den rechten Weg über die Felsen wiesen und laut „Forza, forza, bellissimi ragazzi“ riefen. Oder war es „bravissimi“? Der Gott der Begeisterung muss jedenfalls ein Italiener sein.
Bei uns ist der Schnee seit Ende März weg. Hier lag noch genug davon rum und wurde die letzten 400 Höhenmeter bis zur Passhöhe mein Begleiter. Richtig sulziger und rutschiger Tiefschnee. Auch langsames Gehen war nun nicht mehr möglich, wegen „noch steilerer“. Ich bewegte mich zwei Schritte vor und rutschte einen zurück. Jetzt wusste ich auch, weshalb einige Teilnehmer Stöcke dabei hatten. Außerdem hatte ich nun richtig heftige Krämpfe in den Oberschenkeln. Vorne, hinten und an den Seiten. Ein paar Mal musste ich raus auf die Standspur und dehnen.
Endlich - die Passhöhe! 2627 m wurden durch die Inschrift an einem kleinen Torbogen aufgerufen und 20 km Strecke lagen hinter mir. Allerdings auch schon mehr als 3:30 Stunden – meine völlig illusorische Zielzeit war nun zur Zwischenzeit mutiert. Der Sieger des Rennens, Helmut Schiessl, war zu diesem Zeitpunkt schon längst im Ziel und geduscht. Wenigstens ging es von nun an bergab. Und zwar rutschend – wie Skifahren ohne Skier (und natürlich Stöcke…). Schuhe und Socken waren in kürzester Zeit durchnässt. Das Bergablaufen war zunächst ganz angenehm für meine verkrampften Beine. Ich konnte sogar wieder ein paar Teilnehmer überholen. Bei Alp Cancian auf 2100 m standen Walter und Constanze Wagner und schossen Fotos für ihren Laufbericht, der unter www.laufreport.de abrufbar ist. Nur zu gerne ergriff ich die Chance auf eine Pause und hielt für ein kleines Fotoshooting an.
Kaum weitergelaufen, kamen wieder die Krämpfe. Ich musste immer häufiger stehenbleiben und dehnen. Auch mit Rückwärtslauf bzw. –gang habe ich es probiert. Ein italienischer Mitläufer überholte mich ständig während meiner Dehnübungen. Anschließend lief ich an ihm vorbei bis er mich bei meiner nächsten Dehnpause wieder hatte. So ging das bis kurz vor dem Ziel auf dem Marktplatz von Poschiavo. Dann konnte ich ihn endlich doch noch hinter mir lassen.
Auf den letzten 500 m durch die Dorfgasse kannte die Begeisterung der Zuschauer auch für die „Underdogs“ des Rennens keine Grenzen mehr. Als hätte mir der Hauptsponsor des Laufs, der Stromerzeuger Repower, noch mal eine Schnellladung für meine Batterie spendiert, habe ich meine letzten Kräfte mobilisiert und bin im Ziel gerade noch die Rampe hochgekommen. 4:48,46 Stunden – es ist geschafft!
Nachdem ich nun mehrere Tausend Kalorien verbrannt hatte, kam ein leichtes Hungergefühl auf. Anders als bei Läufen in Deutschland, wo es allenfalls ein Erdinger und ein paar Südfrüchte im Ziel gibt, hatte Poschiavo richtig was aufgefahren für die Athleten. Nach einem schnellen RedBull im Ziel stand das „Pranzo Atleti“ auf dem Programm. Das wurde im Schulgebäude verabreicht und bestand aus einem großen Teller Spaghetti mit Ragú, sowie einer Platte Puschlaver Wurst- und Käsespezialitäten. Dazu Veltliner Rotwein „all you can drink“ und frisches Obst. Zum Abschluss gab es sogar noch einen Espresso und ein Stück Kuchen!
Wie in den Jahren zuvor haben auch wieder alle ein Erinnerungsgeschenk vom Veranstalter bekommen. Dieses Jahr gab es eine ultraleichte Wetterschutzjacke mit Skyrace-Aufdruck – meine Golfjacke hat im Gebirge endgültig ausgedient.

Fazit des Wochenendes:
Es war ein fantastisches Landschaftserlebnis – schon auf der Anreise. Die Begeisterung und Freundlichkeit der Menschen in der Region war umwerfend. Ich habe eine extreme Lauferfahrung gemacht, die mir meine Leistungsgrenzen aufgezeigt hat. Trotzdem würde ich wieder teilnehmen und dann einiges anders machen. Vor allem würde ich mir am Anfang keinen Sprint mehr gönnen, sondern mehr auf gleichmäßiges Tempo achten. Spezielles Krafttraining für die Beine ist sicherlich auch nicht verkehrt. Und über die Stöcke werde ich auch nochmal nachdenken. Mit meinem 9:30er Schnitt pro km war ich noch gut bedient und kann jetzt erst ermessen, was es bedeutet, auf dieser Strecke einen 5:30er Schnitt durchzuhalten. Respekt!
Fazit: Die Schwierigkeiten dieses und ähnlicher Läufe liegen weniger im Herz-Kreislauf-Bereich, sondern in der muskulären Anstrengung, die bei nicht ausreichendem Trainingszustand sehr schnell zur Erschöpfung führt. Der Mann mit dem Hammer – für mich diesmal schon bei km 6.



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