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Bericht

Name des Laufes:Bieler Lauftage
mehr zum Lauf: VID6966
Datum des Laufes:13.6.2008 (Fri)
Ort:Biel
Plz:CH
Homepage:www.100km.ch
Strecken:100km
Beschaffenheit:Straße, Wald, Wanderwege
Profil:wellig
Wetter:Nacht 6°, Tag bis 20°
Teilnehmer:3000
Name des Berichtenden: Alsterjogger LID257
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Bericht vom 23.6.2008 (Mon)
Vor zwei Tagen bin ich die 100 Kilometer von Biel gelaufen. Noch immer habe ich dieses Erlebnis noch nicht richtig verarbeitet. Vor dem Lauf, unterwegs und auch danach ist so viel in mir und um mich herum passiert, dass dies unmöglich in Worte zu fassen ist. Ich will es versuchen, obwohl ich mir der Unmöglichkeit bewusst bin.

Ich startete am Freitag um 12.05 Uhr in Hamburg mit meinem Lauffreund Torsten. Wir hatten uns im Februar beim 75-Kilometerlauf von Lübeck nach Hamburg kennen gelernt. 60 Kilometer waren wir zusammen unterwegs und natürlich hatte ich ihm von meinem geplanten Bielabenteuer erzählt. Am nächsten Tag hatte er sich angemeldet, denselben Flug und dieselbe Unterkunft gebucht und nun saßen wir gemeinsam im Flieger. Unsere Körper zitterten vor Aufregung. Wir hatten beide sehr großen Respekt vor der Strecke, doch unsere Vorfreude war mindestens genauso groß. 13.30 Uhr Landung in Zürich und um 14.08 Uhr saßen wir schon im Zug nach Biel. Der Bahnhof befindet sich direkt im Keller des Flughafens und auch die um 50% ermäßigten Bahntickets waren schnell gekauft. Wir trafen dann um 15.45 Uhr in Biel ein. Unterwegs haben wir schon mit einer Karte in der Hand die letzten Kilometer der Laufstrecke inspiziert, denn die Bahn fährt parallel zu ihr nach Biel hinein. Wie würden wir uns morgen hier nur fühlen nach 90 oder 95 Kilometern?
Vom Hauptbahnhof ging es dann gleich mit der Buslinie 1 in 10 Minuten zur Eisbahn. Es herrschte großer Andrang bei der Startnummernausgabe, doch es dauerte nicht lange und wir hielten unsere Startunterlagen in der Hand. In der Halle sah man viele bekannte Gesichter und kam schnell mit anderen Läufern ins Gespräch. Ich traf dort auch viele Läufer, mit denen ich im letzten Jahr den Bodensee umrundet hatte. Doch in mir herrschte große Unruhe und so machte ich mich auf den Weg zum Quartier. Ich hatte in der Massenunterkunft Sahligut gebucht, doch nirgends fand man Hinweisschilder. Wir mussten uns durchfragen und dann standen wir nach ca. 10 Minuten an der dortigen Anmeldung. Das Sahligut ist eine Zivilschutzanlage der Stadt Biel. Man ging durch Schleusen hinein und mir wurde ein Bett in einem fensterlosen Raum zusammen mit etwa 30 anderen Läufern zugeteilt. Männlein und Weiblein bunt gemischt. Alle waren gut drauf. Einige schliefen, andere unterhielten sich. Gepäck und Kleidung waren bunt im Raum verteilt. Es war aber eine gute Wahl, hier zu übernachten. Alle gingen rücksichtsvoll miteinander um und es war äußerst kurzweilig. Ich habe viele interessante Gespräche geführt oder einfach nur gelauscht.
Die Nacht sollte laut Wetterbericht trocken bleiben. Die Tiefsttemperaturen sollten bei ca. 6 Grad liegen und für den nächsten Vormittag waren dann bis 20 Grad und Sonnenschein angesagt. Die Kleiderwahl war also nicht einfach und man sah auch beim Start von Netzhemd bis Wollpullover sämtliche Varianten. Ich entschied mich für eine ¾-Tight mit langem Laufshirt und einer leichten Weste. Dies sollte sich als eine sehr gute Wahl erweisen, auch weil ich noch zusätzlich Handschuhe einsteckte.
Als Vielesser nahm ich noch ein ordentliches Abendessen im Sahligut ein, gab dort meine Wertsachen ab und machte mich dann gegen 20.00 Uhr auf den Weg zum Start. In der nahe gelegenen Curlinghalle gab ich einen Kleiderbeutel für den Transport nach Kirchberg bei Kilometer 56 ab. In dem Beutel befanden sich Kleidungsstücke für jedes Wetter und ein Paar Wechselschuhe. Ich sollte den Beutel aber später nicht benötigen. Die restliche Wechselkleidung und mein Duschzeug deponierte ich wie alle anderen unbewacht unter den Bänken in der Halle. Das war etwas ungewöhnlich, aber so war es halt.
In der Eishalle trafen sich dann viele Bodenseeläufer und wir stellten fest, dass wir alle etwa von 12 Stunden als Zielzeit träumten. Also entschieden wir uns, die Sache gemeinsam anzugehen. Helmut führte uns; zunächst ans hintere Ende der Starter. Wir wollten es auf keinen Fall zu schnell angehen. Und das machten wir auch nicht.
Zunächst ging es durch Biel, wobei ich mir die Stimmung etwas besser vorgestellt hatte. Aber ich bin wohl verwöhnt vom Hamburg Marathon. Es waren über 3000 Läufer am Start und man musste sehr konzentriert laufen, da das Feld dicht gedrängt war. Irgendwann ging es dann hinaus in die Nacht, aber zunächst braucht man noch keine Taschenlampe. Es gab genug Restlicht, einen hellen Mond und andere Läufer, die leuchteten. Bei Kilometer 7 gab es den ersten Anstieg und den ging ich wie geplant. Ich hatte meine Erfahrungen des K78 nicht vergessen, bei dem ich zu viele Steigungen gelaufen bin und dann schließlich Krämpfe bekommen hatte, die mich fast zur Aufgabe gezwungen hatten. Ich hatte außerdem die Worte eines anderen erfahrenen Ultraläufers im Ohr, der mir einmal sagte: „Als Ultraläufer musst du nicht lernen, schnell zu laufen. Du musst lernen langsam zu laufen und du musst lernen, Steigungen zügig zu gehen.“ Das machte ich auch und es war Gold wert. Die Läufer um mich herum liefen und ich ging und trotzdem waren sie kaum schneller.
Die ersten Verpflegungsstände erinnerten eher an den Beginn des Sommerschlussverkaufs. Dicht gedrängt stürzten die Läufer an die viel zu kurzen Tische. Das machte keinen Spaß und man verlor viel Zeit. Auch wartete unsere Gruppe anfangs noch aufeinander, wodurch die Verweildauern noch länger wurden. Im Nachhinein war das aber gar nicht so schlecht, denn es hinderte mich an einem schnelleren Anfangstempo. Da ich meine Uhr durch die Dunkelheit und meine schlechten Augen nicht lesen konnte lief ich nur noch nach Gefühl und nicht mehr nach Uhr. Das war eine neue Erfahrung für mich, aber nicht die schlechteste. So ging es problemlos weiter über unterschiedliche Bodenbeläge und bei immer häufiger eingesetzter Taschenlampe.
Langsam wurde mir klar, dass es sich hier nicht um einen flachen Lauf um die Außenalster handelt, sondern ich in der Schweiz war. Es ging ständig leicht bergauf und bergab. Das war gefährlich und musste mit Verstand gelaufen werden. Für den Laufrhythmus war das Gift, ehrlich gesagt fand ich keinen. Ständig wechselte ich das Tempo oder ich ging sogar Abschnitte. So fieberte ich Aarberg und der legendären Holzbrücke entgegen. Bei Kilometer 20 war es geschafft. Anfangs war ich enttäuscht, denn die Stimmung auf der Brücke war wieder eher bescheiden, aber dahinter auf dem Marktplatz war richtig was los. Danach wurde das Profil noch welliger und ich lief meiner großen Krise entgegen. Starke Schmerzen in der linken Hüfte, dadurch verkrampfte Laufhaltung, allgemeine Krisenstimmung. Millisekunden dachte ich ans Aufgeben, doch dann habe ich mich fürs Beißen entschieden. Auch Walti ging es mittlerweile schlecht. Er redete von Aufgeben und ließ sich zurückfallen. Nach einiger Zeit rannte er dann aber wie eine Rakete an uns vorbei. Er hatte plötzlich die zweite Luft und rannte uns in Grund und Boden. Ein kurzer Gruß und weg war er.
An der Verpflegungsstelle bei Kilometer 45 tat ich dann etwas sehr Ungewöhnliches. Ich wusste, dass ich etwas ändern musste und ich fühlte mich schlecht. Also griff ich nach einer Cola und es geschah ein Wunder. Ich fühlte mich wie Popeye nach einer Dose Spinat. Die Schmerzen verschwanden und ich lief bald locker und flüssig. An jeder Verpflegungsstelle trank ich jetzt zwei bis drei Schlucke Cola und das Hochgefühl hielt bis zum Schluss. In Kirchberg liefen wir dann am Bus mit den Aussteigern vorbei. Ich hatte wirklich großes Mitleid, denn ich schaute in sehr viele verzweifelte Gesichter.
Mittlerweile war es hell und der Ho-Chi-Min-Pfad stand an. Die ersten Kilometer waren grauenhaft. Steine, Wurzeln, Waldboden und Gras wechselten. Die Füße fühlten sich an wie ein Haufen Stecknadeln. Außerdem war ich so unvorsichtig und habe weiter überholt. Immer Helmut hinterher, der jetzt mächtig auf die Tube drückte. Bei Kilometer 67 traf ich plötzlich wieder auf Walti. Der ärmste hatte starke Krämpfe, wollte die Sache aber durchziehen. Da es Torsten auch langsamer angehen wollte entschieden sich Walti und Torsten zusammenzulaufen. Ich tat mich mit Helmut zusammen. Die nächsten 10 Kilometer lief ich in 60 Minuten. Helmut ließ mich schnell ziehen und jetzt rannte ich nur noch allein. Ich fühlte mich sehr gut und konnte konstant weiterlaufen.
Um Kilometer 80 kam zwischen Bibern und Arch die letzte Bergwertung, bei der ich viel gegangen bin. Ein Läufer ging den Abstieg rückwärts hinunter, andere kauerten erschöpft und verkrampft am Rand. Bis zum Ziel sah man noch viel Elend, aber alle kämpften tapfer weiter.
Die letzten 20 Kilometer bis zum Ziel waren landschaftlich eher öde. Auf staubigen Wanderwegen ging es an der Aare entlang Richtung Biel. Die Sonne brannte mittlerweile immer heißer vom Himmel und viele Radfahrer schienen ebenfalls müde und unkonzentriert zu sein. Man musste sehr aufpassen, um keinen Zusammenstoß zu verursachen.
Das Feld war überraschenderweise noch relativ dicht zusammen. Ich überholte Läufer für Läufer und Grüppchen für Grüppchen. Bei Kilometer 38 lag ich noch auf Platz 1700. Nach 76 Kilometern war ich schon auf Platz 1250 und bis zum Ziel machte ich weitere 200 Plätze gut. Wenn es einen Runners High gibt, dann erlebte ich ihn zu dieser Zeit. Die 5-Kilometerschilder schienen zwar jetzt immer weiter auseinander zu stehen, doch ich lief meinen Stiefel runter. Am Ende bemerkte ich, dass ich noch unter 12 ½ Stunden bleiben konnhte, gab die letzten zwei Kilometer noch mal Gas, lief sie in 13 Minuten und kam am Ende glücklich in 12 Stunden und 27 Minuten ins Ziel. Der Einlauf war Wahnsinn. Matthias Weigmann aus Hamburg bei seiner ersten Teilnahme wurde ausgerufen und die Zuschauer applaudierten wie die Verrückten. Im Ziel erhielt ich die Medaille, setzte mich hin und brach vor Glück in Tränen aus. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Ich konnte es kaum fassen, dass ich eben den Bieler Hunderter geschafft hatte! Ich hatte es wirklich getan!
Anschließend begann zusammen mit Helmut, der kurz nach mir ins Ziel kam und Vierter seiner Altersklasse M70 wurde, auf Torsten und Walti zu warten. Wir machten uns große Sorgen, denn die Zeit verging und sie kamen nicht in Sicht. Ich rief Torsten an, wir hatten schon unterwegs über Handy Kontakt gehalten. Er war zusammen mit Walti bei Kilometer 93. Walti plagten noch immer schwere Krämpfe und Torsten, selbst total am Ende, zog ihn. Es vergingen noch 80 Minuten, dann kamen die beiden überglücklich ins Ziel. Ihre enorme Leistung ist für mich kaum zu begreifen. Ich wäre bestimmt ausgestiegen, doch sie haben den Kampf gemeinsam gewonnen!
Nach dem Zieleinlauf benötigten die beiden noch etwas Betreuung. Torsten schlief sich anschließend im Sahligut aus und Walti, Dieter, Eva und ich feierten noch etwas im Bierzelt, bis die Müdigkeit mich übermannte.
Am nächsten Tag sah man dann viele merkwürdige Gestalten, die mit sehr unterschiedlichen Techniken aus den Betten stiegen und ihr Tablett beim Frühstück balancierten. Es wurden noch viele interessante Gespräche geführt und dann ging es wieder zurück in die Heimat. Natürlich fragte man mich dort heute, wie es in Biel war. Meine Antwort fiel kurz aus: „Unbeschreiblich!“
Irgendwann musst du nach Biel, vielleicht auch ein zweites Mal….



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