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Bericht

Name des Laufes:44. Essen-Marathon
mehr zum Lauf: VID3400
Datum des Laufes:15.10.2006 (Sun)
Ort:Essen
Plz:D4
Homepage:http://www.essen-marathon.de/
Strecken:MA
Beschaffenheit:asphaltiert
Profil:(fast) ganz flach
Wetter:schön sonnig, 12-16 Grad, teils kalter Wind am südlichen Ufer
Teilnehmer:1580 (220 Frauen, 1360 Männer)
Name des Berichtenden:Sommeltje LID2810
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Bericht vom 17.10.2006 (Tue)
Hoffentlich darf ein Marathon-Bericht auch etwas länger werden.
Dieser ist es. War aber auch mein erster, Marathon, meine ich.

Bericht:

[Vorbereitung]
Eigentlich wollte ich nie einen Marathon laufen, wegen der enormen Belastung und so weiter. Außerdem hatte ich Spass am Laufen, solange kein Trainingsplan mir vorschrieb, wann, wie lange, wie weit und wie schnell. Aber irgendwie konnte ich den Frotzeleien der Vereinskollegen nichts mehr entgegensetzten und wurde so langsam in Richtung Marathon geschoben. Also habe ich mir entsprechende Trainingspläne angesehen und versucht, mein Training darauf auszurichten. Das Buch von Daniels hatte ich im Frühsommer gelesen und versuchte nun, in Phase II seines Planes einzusteigen und meinen eigenes Programm zu bauen. Ich bin ja vorher auch schon regelmässig gelaufen, nun kamen noch lange Schwellenläufe hinzu, die hart aber ok waren. Doch im Alltag war es zu oft recht mühsam, die Komponenten immer wieder neu zu bestimmen. Mangels eigener Marathonerfahrung blieb auch immer eine Unsicherheit, ob ich alles richtig mache bzw. verstanden
habe. In Phase III enstand der Eindruck, daß Daniels eher für (jüngere) Läufer mit deutlich höherem Pensum als meine 50-80 Wochenkilometer ausgerichtet ist.

Im Verein gab es verschiedene Meinungen von "Pläne sind Quatsch, lauf nach
Gefühl" bis hin zu Fans von Herbert Steffny und anderen. Aber viele Kollegen hatten zahlreiche Marathons erfolgreich bestritten und liefen regelmässig im Bereich 4 bis 3 Stunden, einzelne auch darunter, wobei viele mir auch im Alter voraus sind.

Irgendwann blieb ich dann bei Herbert Steffnys Buch und seinen M-Trainingsplänen hängen. Nach meinen WK-Zeiten über 10km und HM sollten theoretisch, also bei Erfahrung und optimaler Vorbereitung, 3:30-3:40 möglich sein. Also habe ich die ersten Wochen nach dem Plan für 3:29 trainiert. Dies lief auch ganz gut, bis zu den beiden Testwettkämpfen über 10km (Radevormwald) und HM (Herten-Bertlich), bei denen ich doch recht deutlich das Zeitziel verfehlte (46:06 statt 45:00 auf 10km und 1:45:51 statt 1:40:00 auf dem HM). Anschließend habe ich dann den Trainingsplan für 3:29 durch den für 3:45 ersetzt. Ferner war in Steffnys Buch eine Tabelle mit einem Zeitaufschlag für Marathon-Debütanten, sodaß ich mit
einer Zielzeit irgendwo zwischen 3:50 und 4:00 rechnete. Konservativ betrachtet lauteten meine Ziele also:
1. ankommen,
2. so ankommen, daß ich mir nicht den Spass am Marathon für ewig verderbe,
3. wenn schon ein Zeitziel dann nicht schneller als unter 4 Stunden bleiben.

[Vortag]
Am Samstag vor dem Wettkampf habe ich bereits meine Startunterlagen abgeholt, zum ersten Mal Eigenverpflegung abgegeben, und ein Auto auf dem Parkplatz hinter dem Zielbereich stehen lassen. Außerdem rief mich mein Vereinskollege Norbert Gers an, ob er mich ab ca. km 23 begleiten solle. Natürlich nahm ich das Angebot an. Also die Heimvorteile voll ausgenutzt. Wetterprognose bestens.

[VWKGJ]
Seit über einer Woche schlage ich mich mit hartnäckigen und lästigen
Verspannungen im Hals- und Schulterbereich herum. Irgendwie muss ich nachts
falsch gelegen oder Zug bekommen haben, oder beides. Aber solange ich
geradeaus laufen kann, geht es eigentlich. Bahn ist schlecht. Ferner hatte ich beim letzten 33er auf dem letzten Abschnitt mit Endbeschleunigung einen Stich in der linken Wade verspürt. Dabei wurde im Vergleich zum M die erste Hälfte ja noch viel langsamer gelaufen wurde und 9 weitere unbekannte Kilometer weniger.

[Wettkampf]
Eine halbe Stunde vor dem Start setzten mich meine Tochter und ihr Freund
direkt im Startbereich ab. Beide blieben noch bis zum Start, sodaß ich ihnen meine wärmenden Klamotten und Trinkflasche ein paar Minuten vor dem Start in die Hand drücken konnte. Kurz nach zehn setzte sich Menge in Bewegung und nach zwei, drei Stoppern kam ich ca. eine Minute später über die Matten der elektronischen Zeitnahme. Die Strasse war auf den ersten 2-3 km breit genug sodaß sich das Feld auseinanderziehen konnte. Eigentlich hatte ich immer genug Platz zum Laufen. Ich kam mit einer Dame neben mir ins Gespräch, weil ich das erste Km-Schild verpasst hatte. Sie sagte: so um 5:45, also war ich beruhigt. Sie sagte, sie sei Ausstellerin aus Hamburg und würde all die Marathons in ganz D laufen, über 10 im Jahr, meistens als Trainingslauf. Sie könnte ja ~3:20 laufen, aber heute nicht. Als ich sagte, dies sei mein erster, gab sie mir noch einige Tips und dann verloren wir uns. Es lief ganz locker, nur mein Puls war schon bei 145, also locker 10bpm zu hoch, aber das schob ich auf die WK-Situation.

Bei km5 kamen wir gegen 27:58 netto an der ersten Verpflegungsstation vorbei, wo ich nichts nehmen wollte, aber zwei(!) meiner vier Flaschen stehen sah. Hier sollte eigentlich keine stehen, also mussten woanders zwei fehlen! Naja, wie würden ja nochmal vorbeikommen und zur Not würde ich auf die normale Verpflegung zurückgreifen müssen. Nun hatte ich jemandem mit Trikotaufdruck "Lustige Schleicher" vor mir, der lauthals einen Kalauer nach dem anderen riss. Er brachte alle Läufer 100m vor und hinter sich zum Totlachen. Nach einer Weile mußte ich von dem weg, weil der mich zuviel Luft kostete. Irgendwann hörte ich ihn nicht mehr, dafür aber ein "ach, da biste ja wieder" von der netten Dame aus Hamburg. Bei einem Marathon hat man also Zeit, seine Mitstreiter kennenzulernen. Naja, jedenfalls bei meinem Tempo.

Nun ging es entlang des Südufers und ein kalter Wind kam uns entgegen. Ich
fror und versteckte mich so gut es ging hinter anderen. km10 war bei 56:21
erreicht und kurz dahinter die nächste Verpflegungsstelle in Kupferdreh bei
km11,irgendwas. Ich griff mir die eine Flasche, wo eigentlich eine zweite
für die nächste Runde bei km35 stehen sollte. Während ich die 0,3l gemütlich trank, hatte ich plötzlich einen gelben Luftballon im Gesicht. Etwas später erkannte ich was auf dem geschrieben stand: 4:00 Stunden. Hoppla, die sollten aber schon hinter mir bleiben. Es wurde voller, ich warf die Pulle weg und trat die Flucht nach vorn an.

Es kam die lange Pendelstrecke entlang der vierspurigen Wuppertaler Straße, von denen zwei Spuren für die Läufer gesperrt waren. Ich konnte sehen wie viele bereits vor mir waren und die Spitzengruppe war wohl schon eine Weile durch. Kurz vor der Wende stand Vereinskollege Norbert am Strassenrand und drehte den Kopf immer hin- und her. Ich rief ihm zu und er machte sich startklar. Nach der Wende war er bei mir und sagte: "Ok, ab jetzt werde ich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen". Zwei Damen neben mir amüsierten sich köstlich und nickten mir zu. Dies war gegen 1:24:02 bei km15, also 5:36/km (nee, habe ich nachher ausgerechnet, meinen Spickzettel mit Durchgangszeiten hatte ich bei der ersten Verpflegungstelle selbst vermatscht und daher weggeworfen). Durch Norberts
Anwesenheit wurde ich etwas übermütig und lief die folgenden 5km recht konstant in 5:20/km. Dann wurde es etwas enger und man lief auf einem Radweg wieder am Startbereich vorbei. Hier konnte ich meinen Namen hören, erkannte meinen Vater und konnte ihn gerade noch abklatschen. Klarer Heimvorteil. km21 hatten wir in 1:56:10 netto passiert. Sah doch ganz gut aus soweit.

Nun ging es auf die zweite Runde und das Feld war schon deutlich gelichtet.
km25 erreichten wir in 2:18:01 und ich fühlte mich immer noch locker.
Norbert fragte nach meinem Puls und ich sah, wie die Anzeige mal wieder wild zwischen ~80 und 240 hin- und hersprang. Trotz voller Batterien macht die nicht gerade billige Pulsuhr dies seit einiger Zeit auch im Training, weshalb ich sie nach einem Jahr Gebrauch beim Hersteller reklamieren sollte. Nach dem Marathon.

km30 war in 2:46:01 erreicht und langsam spürte ich meine Waden. Komisches
Gefühl, als wenn sie schwerer würden. Atmung und Puls, wenn ich mal einen
glaubhaften Messwert hatte, waren durchaus im grünen Bereich. Puls so bei 85%.

Der Wind pfiff immer noch kalt und ich versteckte mich schräg hinter Norbert im Windschatten. In dieser Formation konnten wir am Südufer etwas an Tempo zulegen und einige Leute überholen. Eine historische Dampflok fuhr nebenher, deren dunkler russiger Qualm über die Strecke wehte. Einige husteten und bedankten sich begeistert. Norbert achtete darauf, daß ich regelmässig trank und bot mir immer wieder etwas an, holte mir an den Ständen meine Flaschen und Bananen. Dank seines Services brauchte ich nie stehenzubleiben und konnte immer in der Mitte durch die Verpflegungsstände laufen, wo oft nur ein kleine Gasse war. Essen und Trinken während des Laufens klappte sehr gut, besser als aus Bechern zu trinken, wo ich mich in der Vergangenheit beim Laufen meist verschluckt habe und anschliessend minutenlang husten musste. Wir trafen noch weitere Vereinskameraden, die sich entlang der Strecke verteilt hatten und uns anfeuerten. Das galt mehr mir, denn Norbert machte nach seinem Berlin-M einen Trainingslauf. Ein anderer Norbert (Schilke) lief in normaler Kleidung ein paar hundert Meter mit und machte mir Mut.

Kurz vor der Kampmannsbrücke, die nun zum zweiten Mal überquert wurde, war km35 erreicht und meine Uhr zeigte 3:14:25. Während der letzten Kilometer war ich langsamer geworden. Nun ist es nicht mehr weit, dachte ich. Plötzlich war da Vereinskollege Udo. Er lief ein Stück rückwärts vor uns her und machte Fotos. Ich versuchte, so gut wie möglich dreinzuschauen. Dann wurde es ernst.

Jetzt fing die linke Wade an zu krampfen. Auch immer mehr Läufer um uns herum gingen oder standen. Norbert wies laut auf manche hin: \"Der hat sich übernommen, aber das passiert dir nicht!\", oder \"Den in rot da vorne, den holst du dir noch\". Der in rot drehte sich natürlich um. Ich konnte keine Miene verziehen und war darauf konzentriert, einen halbwegs vernünftigen Laufstil beizubehalten.

"Nur noch zwei Kilometer!" rief Norbert immer wieder, bis ich ihn irgendwann ungläubig ansah. Aber mein verspannter Nacken lies das nicht zu. Norbert musste jetzt sein ganzes Repertoir an Sprüchen aufbieten, die ich im Nachhinein hier nicht alle wiederholen kann und möchte. Aber irgendwie wusste er mich richtig zu packen. Als eine junge Frau uns überholte, befahl er mir "dranzubleiben". Ich wollte, aber es ging nicht. Wie kann man jetzt noch so schnell laufen? Jetzt sah ich das Schild "40km" und konnte nicht mehr auf die Uhr sehen. Nun schrieen uns auch immer mehr Zuschauer an. "Unter 4, locker, haut rein!" Ich wurde tatsächlich noch einmal schneller, aber dafür gab es nun bei jedem Schritt einen Messerstich in die linke Wade. Wir liefen bereits entlang der Tribüne
direkt am Wasser und in der Zuschauerkette auf der rechten Seite tauchten die Gesichter meiner Frau und ihrer Freundin auf, aber ich konnte nicht mehr reagieren. Es gab noch eine 180°-Wende und dann zeigte Norbert auf das Ziel. Ich fühlte mich wie ein Invalide, als ich durch das von den Cheerleadern gebildete Spalier über die Linie humpelte. Seit dem Start war ich recht konstant durchgelaufen, aber nun war ich nur noch froh, daß es endlich vorbei war.

Meine Familie stand hinter der Absperrung und rief mich. Ich konnte erstmal nur zurückwinken. Einen Apfel und eine Banane konnte ich problemlos essen. Dann ein Blick auf die Zeit: 3:55:39 netto (später 3:56:34 brutto) und war richtig glücklich.

Nach kurzer Zeit konnten wir dann allesamt direkt ins Auto einsteigen (hatte wirklich kaum geschwitzt, ehrlich) und eine halbe Stunde später lag ich in der Wanne. So alle, wie, weiss ich nicht mehr wann.

[Rückblick]
In meiner Heimatstadt Essen meinen ersten M zu laufen war die richtige
Entscheidung. Ich kannte durch viele lange Trainingsläufe jeden Meter der
Strecke, konnte am Vortag alles in Ruhe vorbereiten. Das Wetter war genau mein Ding und meine Familie, Eltern und Vereinskollegen waren auch da, um mich zu unterstützen. Bei allen bedanke ich mich recht herzlich, natürlich besonders bei Norbert Gers. Ohne ihn wäre ich sicherlich auch angekommen, aber vielleicht auf den letzten 4-5 km der Versuchung erlegen zu gehen. Wer weiß.

Vielen Dank fürs Lesen, (kaum zu glauben, daß jemand das bis hierher durchhält,)

Achim Startnr=991 lid=2810


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