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Bericht

Name des Laufes: 34. GutsMuths - Rennsteiglauf
mehr zum Lauf: VID2940
Datum des Laufes:20.5.2006 (Sat)
Ort:Schmiedefeld
Plz:D9
Homepage:http://www.rennsteiglauf.de
Strecken:HM, MA, SM
Beschaffenheit:Wald- und Wanderwege
Profil:inoffiziell 1.800 positive Höhenmeter
Wetter:Sonne am Morgen und dann strömender Regen
Teilnehmer:gut 1.500
Name des Berichtenden:Andreas Boerner
(Autor-LID zuordnen: Login und [Edit])

Bericht vom 30.5.2006 (Tue)
Beim Blick aus dem Fenster fällt mir ein Zitat ein: „Sorgen sind ein Missbrauch der Phantasie.“ Seltsamerweise verfehlt es nicht seine Wirkung - ich akzeptiere das für diese Jahreszeit viel zu kalte, viel zu windige und mit beständigem Dauerregen auch viel zu nasse Wetter und verlege mich auf klamottentechnische Planungen für alle nur denkbaren Wetterkapriolen beim anstehenden Rennsteiglauf.

Der GutsMuths-Rennsteiglauf ist der größte Landschaftslauf Mitteleuropas und führt über den Rennsteig genannten Höhenweg des Thüringer Waldes. Für diese Region hat die Veranstaltung Kultstatus, denn der seit den 70er Jahren stattfindende Lauf war die größte Breitensportveranstaltung der DDR. Wie auch beim Swiss Alpine wird am „Tag der Tage“ eine fast schon unübersichtliche Anzahl verschiedenster Veranstaltungen angeboten, die insgesamt von gut 15.000 Teilnehmern wahrgenommen werden. Die Königstrecke dabei ist jedoch eindeutig der legendäre Supermarathon – aktuell 72,7 Kilometer über ziemlich wellige Wald- und Wanderwege (dabei inoffiziell gemessen etwa 1.800 aufwärts zu bewältigende Höhenmeter) von Eisenach bis Schmiedefeld.

Am 20. Mai 2006 stehe ich selbst sehr frühmorgens auf dem Marktplatz von Eisenach vor einem großen aufgeblasenen Plastikbogen auf dem zwischen Werbebannern irgendwo „Supermarathon“ prangt, entledige mich langsam meiner wärmenden Funktionsschichten und möchte diesen Mythos für mich persönlich ergründen. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, fühle mich gut vorbereitet und bin bereit - aber dennoch erscheint mir die Situation zugleich auch etwas absurd. Welch seltsame Dinge man doch freiwillig auf sich nimmt… Öfters wurde ich gefragt, warum ich mir solch eine vermeintliche Quälerei überhaupt antue. Mir scheinen diese Fragen oft bloß der Beruhigung des Fragenden zu dienen und den Köder, die unterstellten Qualen zu akzeptieren mag ich nicht schlucken. Kleinere Schmerzen empfindet man doch sowieso erst dann als wirklich schlimm, sobald man sie ablehnt. Ich bin aber freiwillig hier und bereit den Preis zu zahlen. Ich brauche die ganze Aktion nicht wirklich, aber der Punkt an dem ich noch umkehren konnte liegt dennoch irgendwo weit hinter mir. Warum also? Meist sage ich Dinge wie, dass der Lauf nun einmal existiert und mich die damit verbundene Herausforderung eben reizt. Ich brauche mir und der Welt nichts mehr zu beweisen, aber im Grunde kann ich bei dem Versuch nur gewinnen, denn was bliebe mir am Ende, wenn ich nicht zumindest versuchen hätte, meine Träume zu realisieren – so belanglos sich diese nach außen hin auch darstellen mögen. Nun will ich nur noch geradeaus durch dieses aufgeblasene Starttor…

Pünktlich um 06:00 erfolgt der Startschuss und einen kurzen Augenblick später trabe ich inmitten einer bunten Läufermasse durch die Fußgängerzone von Eisenach. Alles läuft ruhig ab und auch vor dem Start hatte keine hektische Betriebsamkeit geherrscht (wie bei so vielen Stadtmarathons üblich). Leicht mehr als 1.500 durch die Bank recht fit wirkende (und teilweise etwas urige) Originale hatten sich in freudiger Erwartung auf dem Marktplatz eingefunden und anscheinend wusste jeder doch mehr oder weniger genau, worauf er sich da eingelassen hatte – als Folge einer Bierwette war hier sicherlich niemand am Start. Daneben wurde die Veranstaltung sympathisch und ohne diese so überflüssigen letzten Tipps oder ähnliches Blabla über Lautsprecher moderiert. Ich hatte die Atmosphäre in mich aufgesogen und ansonsten einmal mehr meine recht minimalistische Aufwärmprozedur absolviert - und trabte mich nun eben erst auf den ersten Kilometern langsam ein. Schon bald geht es auf einer gewundenen alten Straße fast etwas ruppig bergauf. Ich staune über verschiedene Mitläufer, die anscheinend doch Großes vorhaben und entschlossen dreinblickend an mir vorbeirasen – einige von ihnen werde ich später wiedersehen …
Noch steht die Sonne tief am frühen Morgenhimmel, aber mir wird es bereits zu warm und so frage ich mich zunehmend stärker schwitzend, ob ich klamottentechnisch nicht doch verwachst habe. So viele Gedanken – und am Ende hatte doch wieder das Bauchgefühl entschieden…

Grob vereinfacht geht es beim Rennsteig die ersten 25 Kilometer „nach oben“, aber noch sind wir ja voll im Saft. Ein Hubschrauber kreist über uns – und während wir nur wenige Minuten später einen saftig grünen Berghang queren, kurvt er auf einmal fast schon schräg unter uns durch die Luft. Auf einmal werde ich von hinten angesprochen: „Na, wollen wir beide die Hamburger Meisterschaft unter uns ausmachen?“ Ein Déjà-vu-Erlebnis? Frank taucht an meiner rechten Seite auf und spricht breit grinsend haargenau die gleichen Worte wie vor einem Jahr beim Swiss Alpine Ultramarathon. Unsere spontane Wiedersehensfreude ist schwer zu beschreiben, wir klönten äußerst angeregt und setzen fort, was wir beim Swiss Alpine irgendwann beenden mussten. Am Wichtigsten scheint es Frank zu sein, dass ich in der Zwischenzeit von einem Tumor-Rezidiv (hatte 1999 mal massive Probleme) verschont geblieben bin – was mir manchmal doch viel zu selbstverständlich erscheint (allem Bemühen zum Trotz).

So sehr ich mich über das Wiedersehen mit Frank freue, verbindet sich für mich hiermit zugleich doch auch ein Riesenproblem, denn an einem guten Tag dürfte Frank einen normalen Marathon auch unter 3 Stunden schaffen – was ich nicht drauf habe… Unsere zweite 5-Kilometerzwischenzeit von 22 Minuten ist für meine Verhältnisse viel zu schnell und trifft mich wie eine Schockwelle! Unterliege ich hier etwa demselben Phänomen wie beim Laufen mit meinem Kumpel Jens im Kölner Grüngürtel, mit dem permanent quatschend ich anscheinend schneller laufe als wenn ich mich alleine ohne allerletzten Einsatz bemühe? Mir strömt jedenfalls überreichlich Energie zu und ich fühle mich gefährlich gut. Aber es hilft alles nichts: rein rechnerisch bin ich viel zu schnell unterwegs! Die anderen Läufer um mich herum sehen gar nicht so extrem fit aus, aber habe ich nicht schon oft genug erlebt, wie wenig man allein auf den optischen Eindruck geben kann? Frank nimmt wahr, dass ich drauf und dran bin mich in Grund und Boden zu rennen und enthebt mich meiner weiteren Grübelein, wir verabschieden uns mit festem Händedruck - und während ich Frank nachsehe, lasse ich mich zwar wehmütig aber dennoch auch ein bisschen erleichtert im Tempo zurückfallen.

Meine nächste Zwischenzeit ist in Ordnung, aber mit kräftig angezogener Handbremse muss ich nun erleben, wie ein Läufer nach dem anderen an mir vorbeizieht und wie meine zwischenzeitlich hochgerechnete „Traumzeit“ wieder meiner vor dem Lauf ertüftelten „realistischen Idealzeit“ weicht. Bei einem normalen Marathon kann man ja mal auf den Putz hauen, sich verkalkulieren und dann doch irgendwie ins Ziel retten - aber hier wäre der potentiell verbleibende Leidensweg möglicherweise doch verdammt lang… Etwas widerstrebend beuge ich mich der Vernunft…

Als ich die erste steile Bergaufpassage hinaufwandere, kommen mir früher hochgespurtete Berghänge in den Sinn. In solchen Momente zahlen sich Erfahrungen spürbar aus (wie bin ich doch 2002 beim Jungfrau Marathon eingebrochen, nachdem ich die ersten paar hundert steilen Höhenmeter an den vor mir Gehenden förmlich vorbeigeflogen war) – hier geht es vorerst nur darum „Körner zu sparen“……
Bei meiner ersten Pinkelpause stoppte ich reflexartig meine Laufuhr – so wie ich es im Training immer an den roten Ampeln tue. Immerhin erkannte ich sogleich meinen Faux Pas – dieser Aussetzer wird meine gestoppten weiteren Zwischenzeiten wohl nicht wesentlich verfälscht haben…

Ich laufe nun einfach mein „Wohlfühltempo“, drücke die Zwischenzeiten zunehmend mechanisch und mit schwindendem Interesse ab und orientiere mich stattdessen am Läuferfeld. Das Laufen wird zum Zustand und der Geist macht sich bei beschäftigtem Körper auf die Reise. Nur wird er immer unfähiger, verschachtelte Sätze zu formulieren oder gar komplizierte Hochrechnungen auf mögliche Endzeiten anzustellen. Ich lasse es einfach. Auf einer wurzelübersäten Trampelpfadpassage knicke ich mit dem linken Fuß um. Stechender Schmerz und seltsame Lichter vor den Augen, aber erstaunlicherweise kann ich problemlos weiterlaufen und darf mir an diesem Tag bloß keinen weiteren Fehltritt erlauben.

Langeweile kommt nicht auf – auf einmal scheuert es massiv an einer Stelle, die ich zuvor nie auf dem Zettel gehabt hatte. Aber diese Blase platzt noch vor dem Kilometer 25 und anschließend habe ich Ruhe. Dafür beginnt auf einmal mein linkes Problemauge heftig zu tränen (Heuschnupfen), was mir das Sichtfeld ausgerechnet nach schräg unten beeinträchtigt - für einige Kilometer riskiere ich notgedrungen eine Art Blindflug und dann verschwindet dieses Phänomen (zumindest habe ich keine weiteren Erinnerungen mehr daran).
Kilometer 30 - bei einem Marathon sollte nun ja angeblich der Mann mit dem Hammer kommen (ich habe ihn hier noch nie getroffen)… Eine willkommene Abwechslung bieten auf einmal die in unsere Laufroute einschwenkenden Wandererhorden mit ihren auf dem Rücken befestigten Startnummern – auch hier gewohnt munter stockschwingend aber dennoch auffallend rücksichtsvoll. Ansonsten ist auf den Waldwegen nicht viel los – und die bislang teilweise wirklich grandiose Fernsicht erledigt sich nach und nach, denn die angekündigte Unwetterfront naht nun deutlich spürbar (doch die richtige Klamottenwahl getroffen)!

An den Verpflegungsstellen werden wir fast schon individuell und geradezu liebevoll betreut – toll! Das an den Verpflegungsstellen angebotene Wasser ist jedoch extrem kalt. Kein Problem, wenn man bloß wenige Schlucke zu trinken gedenkt, aber ich will mehr… Aufgrund früherer guter Erfahrungen habe ich die feste Absicht, regelmäßig mehr als nur diese paar Schlucke zu trinken und so panschte ich munter Tee und Wasser und Isogetränk und Cola und Schleim durcheinander – Schleim? Eine originelle Besonderheit beim Rennsteiglauf ist der angebotene dünnflüssige Haferschleim (nach meiner Beobachtung vor allem in der mit Heidelbeeren angereicherten Variante), der wirklich super bekömmlich und (sofern man seine Abneigung überwinden kann) genau das Richtige für einen ambitionierten Durchschnittsläufer wie mich ist. Ansonsten komme ich mit meiner Eigenverpflegung prima hin (vor allem Energy Gels).

Bei der Verpflegungsstation Ebertswiese steht nach 37,47 Kilometern auf einer Tafel „Die Hälfte ist geschafft!“… Die Hälfte von 72,7 km? An der Streckenführung wurde in den letzten Jahren gebastelt und das merkt man hier und da. Einfach stabil und in Bewegung bleiben. Offizielle Zwischenzeitnahme bei Kilometer 54,2 (Grenzadler) – wer will, der kann hier mit offizieller Zeitnahme aussteigen. Ich will nicht und laufe von diesem Angebot innerlich vollkommen unberührt weiter. Nur noch 20 Kilometer, im normalen Trainingsmodus spule ich die doch zu jeder Tages- und Nachtzeit spielend ab… Auch bloß moderate Steigungen werden nun allerdings konsequent (kollektiv) gegangen. An den Verpflegungsstellen halte ich mich eher kürzer auf, werde von den dort Überholten aber meist wieder eingesammelt. Jedem das Seine - es tut sich nichts.

Bei Kilometer 61,77 ist mit Plänkners Aussicht der höchste Punkt der Strecke (973 m) erreicht. Es tauchten jene seltenen Momente auf, in denen man nicht mehr allzuviel nachdenkt, sondern einfach nur noch sein Ding macht. Die mittlerweile arg verspannte Orthopädie ist ausgepowert, aber seltsamerweise dennoch fügsam und so geht es auch weiterhin problemlos voran. Immer noch Nadelwald links und rechts – so interessieren mich für einige Kilometer vor allem die Trikots der mich umgebenden Mitläufer. Wann kommt denn endlich die Tafel mit dem Kilometer 65? Ab da dann nur noch gut 7 Kilometer bergab – eine entspannte mittlere Crosslaufrunde (und die renne ich sonst mit Vollgas). Es dauert ganz schön lange, aber endlich kommt die Tafel. Ich fühle mich immer noch nicht schlecht, aber es regnet mittlerweile heftig und ich will ins Ziel. Die anderen kämpfen nun auch und keiner hat mehr lockere Beine. Geredet wird schon lange nicht mehr. Auch die Tafel mit dem Kilometer 70 lässt mächtig auf sich warten. Immer wieder kommt noch eine weitere Kurve. Endlich ist sie aber da… Es geht in Serpentinen bergab. Einfach stabil weiter - keine Experimente. Kilometer sind mir schon kürzer vorgekommen. Ich hatte erwartet, viel früher etwas von Schmiedefeld mitzubekommen. Ohne äußeren Anlass will in mir einfach keine Finisher-Euphorie aufkommen. Vor einem Jahr in Davos bin ich vom Ziel regelrecht angezogen und von den Zuschauern über die letzten Kilometer gepeitscht worden - aber hier ist Schmiedefeld und es regnet Bindfäden! Ziemlich spät geht es aus dem Wald heraus und in eine Kleingartensiedlung hinein – und erst auf der Zielgeraden sehe und höre dann auch ich deutlich das Ziel. Den sonst üblichen Endspurt verkneife ich mir, erliege unsinnigerweise jedoch dennoch der Versuchung, auf den letzten Metern unbedingt noch einen Mitläufer überholen zu wollen. Es gibt diverse Einlauftore, aber auch hier ist alles perfekt organisiert und klappt. Die Organisation ist wirklich super. Links von uns laufen die Finisher des normalen Marathons ein. Mein Name wird aufgerufen – sie machen es tatsächlich… Erleichtertes Grinsen – über die Zielmatte und auf der Uhr keine weitere Zwischenzeit sondern endlich die Endzeit abdrücken. 7:42:30 – witzigerweise auf die Minute exakt die in den Tagen zuvor quasi kaffeesatzlesenderweise ausgetüftelte Zielzeit. Was ist Ursache, was Wirkung? Egal – nicht mehr weiterlaufen – Ruhe – geschafft – Zufriedenheit!

Ein Glück, dass ich nicht Anschlag gelaufen bin, denn nun gab es im strömenden Regen noch einen sich ziemlich hinziehenden Parcours über das Duschzelt bis zum fernen Parkplatz zu bewältigen – und die äußerst angeregten Gespräche während meiner Rückfahrt mit meinem Begleiter Horst möchte ich auch nicht missen. Ein guter Tag!


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