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Bericht

Name des Laufes:15. Deich- und Salzwiesenlauf
mehr zum Lauf: VID573
Datum des Laufes:27.6.2004 (Sun)
Ort:Schönberg
Plz:D2
Homepage:www.tsvschoenberg.de
Strecken:HM
Beschaffenheit:Asphalt, Waschbeton, Feldwege
Profil:eben
Wetter:nieselig
Teilnehmer:101 im Ziel (beim HM)
Name des Berichtenden:Thomas Naumann
(Autor-LID zuordnen: Login und [Edit])

Bericht vom 30.6.2004 (Wed)
Der Deich- und Salzwiesenlauf in Schönberg ist eine kleine dörfliche Laufveranstaltung. Der Hauptlauf ist der Halbmarathon, der über Wirtschaftswege durch die flache Landschaft der Probstei zum Deich führt, dort ca. 7 km lang am Strand entlang verläuft und dann über Stakendorf wieder in Schönberg endet. Diese Strecke ist flach, einigermaßen attraktiv und angenehm zu laufen. Daneben gibt es noch einen 10-km-Lauf, einen 5-km-Lauf, einen Schnupperlauf, und walken darf man da auch. Die Halbmarathonstrecke ist gut ausgeschildert; jeder Kilometer bis auf km 7 ist auf dem Boden markiert. Unterwegs trifft man auf drei Wasserstände.

Die Strecke ist einigermaßen attraktiv, schrieb ich eben. Allerdings gehört dazu auch ein einigermaßen attraktives Wetter. 2003 war es ein Tag mit Nieselregen, an dem der Halbmarathon stattfand. 2004 war es ähnlich. Der Himmel war bleiern, gelegentlich regnete es, die Luft war etwas drückend, aber nicht zu warm. Vom läuferischen Standpunkt her gut, aber aus touristischer Sicht überhaupt nicht, denn bei grauem Himmel und grauem Meer sieben km über einen einsamen grauen Asphaltweg am Strand entlang zu laufen, wirkt öde. Die gleiche Strecke bei Sonnenschein ist bestimmt wunderschön.

Letztes Jahr war Schönberg mein erster Halbmarathon überhaupt, den ich in 1:54 h beendet hatte. Ich hatte mir Ende 2003 vorgenommen, 2004 einen Halbmarathon unter 1:40 h zu schaffen. Meine Halbmarathon-Bestzeit stammte aus dem Oktober 2003. Dort hatte ich im Kiel-Lauf 1:44 h erreicht. Der Halbmarathon in Schönberg war eine der beiden Gelegenheiten (neben dem Kiel-Lauf im Herbst), mein Zeitziel für 2004 zu erreichen. Also fuhr ich mit Vereinskollegen nach Schönberg und zog mich um.

Eine weit verbreitete Unsitte unter Läufern ist das Jammern vor dem Wettkampf in der Umkleidekabine. Beispiele:

- Ich bin schon seit Wochen nicht fit.

- Meine Achillessehne macht mir seit Monaten Beschwerden.

- Meine Knie tun mir weh.

- Ich bin überhaupt nicht zum Trainieren gekommen.

- Gestern abend mußte ich unbedingt zehn Bier trinken.

- Meine Nasenhaare haben sich entzündet.

- Meine Beine wurden mir amputiert.

Alles keine Gründe, finde ich. Wer sich nicht fit fühlt, soll keinen Wettkampf laufen. Und wer dennoch an einem Wettkampf teilnehmen will, soll nicht jammern. Habe ich schließlich bei diesem Lauf auch nicht gemacht. Und ich hätte allen Grund dazu gehabt. Seit Wochen begannen nämlich meine Knie damit, Signale auszustrahlen, um mich darauf aufmerksam zu machen, daß sie sich mißhandelt fühlen - insbesondere das rechte Knie. Ich hatte daher in den letzten beiden Wochen vor dem Halbmarathon das Training drastisch reduziert. Gleichzeitig fand ich es eine schlaue Idee, mit Krafttraining zu beginnen, um die Rumpfmuskulatur und die vernachlässigten Beinmuskeln, die die Knie stützen können, zu entwickeln. Das alles führte dazu, daß ich zum ersten Mal vor einem Wettkampf nicht das Gefühl hatte, bereit zu sein. Ich hatte Muskelkater im Bauch und in den Oberschenkeln, und mein Körper fühlte sich irgendwie wackelig an. Außerdem war meine Motivation nicht so hoch wie sonst. Eigentlich war der Halbmarathon in Schönberg geplant als krönender Abschluß der "Frühlingsserie" meiner Wettkämpfe. Aber es war bereits der siebte Wettkampf in diesem Jahr, und obwohl ich motiviert sein wollte - die Luft war raus, der "Hunger" war weg.

Mein Plan für den Lauf war, einen Schnitt von 4:15 min pro km zu laufen. Dann würde ich nämlich den Halbmarathon nicht nur unter 1:40 h, sondern sogar in 1:30 h schaffen. Und dann wäre ich nicht nur ein Held, sondern sogar ein Superheld. Jedenfalls in meinen eigenen Augen. Einen Halbmarathon unter 1:30 h, das wäre was, um es meinen Enkelkindern zu erzählen. Ich beeile mich, an dieser Stelle einzufügen, daß ich selbstverständlich nur aus gesundheitlichen Gründen laufe, mir Bestzeiten nichts bedeuten und ich Leistung beim Laufen als völlig uncool empfinde. Schließlich bin ich nur zu meinem Vergnügen hier. Aber ich einen Halbmarathon unter 1:30 h, stellt Euch das nur mal vor - ich, der ich im Sport immer eine Niete war und bis vor gut zwei Jahren nach einem gelaufenen Kilometer zusammengesackt wäre, tatsächlich ziemlich sackförmig aussah und auch soviel wog wie ein Sack - nämlich ein Sack voll Blei... Also Schluß mit dem politisch korrekten Leistungsverweigerungs-Geschwätz und auf zur neuen Bestzeit!

4:15 min/km also, das müßte nach meinem 10-Meilen-Lauf in Gettorf, bei dem ich einen Schnitt von 4:02 min/km schaffte, eigentlich nicht unmöglich sein. Der Startschuß fiel. Die ersten beiden Kilometer waren zu schnell (3:51 bzw. 3:59 min). Das ist normal bei mir. Nicht normal war, daß nicht die Anfangsbegeisterung dafür verantwortlich war, sondern die Angst, zu langsam zu laufen. Denn schon die ersten Kilometer fielen schwer, und das ist für mich ungewöhnlich. Normalerweise laufen sich die ersten Kilometer wie Butter und erst nach einer gewissen Zeit beginnt die Wirklichkeit sich gegen den Adrenalinüberschwang durchzusetzen. Ab km 3 habe ich bewußt abgebremst (km 3: 4:09 min, km 4: 4:10 min), immer auf der Suche nach einem Zugläufer, dem ich stupide nachlaufen könnte, denn ich fühlte mich einfach schlecht, müde und abgewrackt.

Da! Vor mir ein schlanker schwarzhaariger Läufer, der elegant wie ein Kenianer lief! Einen Kilometer lief ich hinter ihm her, und es war so angenehm! Locker war es, und ich dachte: "Es geht doch!" Leider war es auch der langsamste Kilometer (4:33 min). Kein Wunder, daß es so schön war.

Also weiter beißen. Kilometer 6 verging in eiligen 4 Minuten, und der Deich kam näher. Die Deichpassage zwischen Kilometer 7 und ca. 14 ist ziemlich monoton, jedenfalls bei regnerischem Wetter. Der Gegenwind war auch nicht förderlich. Außerdem fehlten mir Mitläufer. Ich wurde daher wieder langsamer; es war einfach ätzend (km 7: 4:17 min, km 8: 4:17 min, km 9: 4:19 min, km 10: 4:27 min, km 11: 4:21 min, km 12: 4:20 min).

Dann, gegen Ende der Deichpassage, hechelte es von hinten heran. Zwei Läufer holten mich ein, der eine davon atmete in einem Ein-Schritt-Rhythmus (ein Schritt einatmen, ein Schritt ausatmen). Das hörte sich nicht besonders gesund an. Des einen Leid ist des anderen Freud - verglichen damit ging es mir richtig gut. Mein limitierender Faktor waren Lust und Beine; die Atmung funktionierte wunderbar. Also sah ich eigentlich keine Notwendigkeit, mich überholen zu lassen. Ich versuchte, meinen Schritt etwas flüssiger zu gestalten und nicht nur dämlich vor mich hin zu trampeln, und es ging. Ich lief einige Zeit mit den anderen beiden zusammen (km 13: 4:15 min, km 14: 4:19 min, km 15: 4:05 min, km 16: 4:17 min). Dabei wurde ich nicht wesentlich schneller, aber es war eine gute Phase des Laufs. Sie fühlte sich so an, wie es eigentlich die ganze Zeit hätte sein müssen: anstrengend, aber machbar.

Inzwischen war Stakendorf erreicht. Stakendorf kenne ich gut, weil ich dort seit vielen Jahren eine Woche im Jahr Urlaub mache, und das gab mir Auftrieb. Außerdem rechnete ich zum ersten Mal nach und stellte fest, daß trotz allen Jammerns 1:30 h immer noch in Reichweite war. So langsam war ich gar nicht; schließlich war meine Vorgabe ja nicht 4 Minuten pro Kilometer, sondern 4:15 min/km, und das hatte ich im Durchschnitt ganz gut gepackt. Vorsichtig, kraftlos, aber motiviert lief ich weiter (km 17: 4:17 min, km 18: 4:10 min, km 19: 4:08 min) und löste mich von meinen Mitläufern.

Bei der 19-Kilometer-Markierung packte mich die Krise erneut. Ich dachte tatsächlich darüber nach, den Lauf abzubrechen bzw. bis zum Ende zu walken. Ich würde immer noch weit unter 1:40 h bleiben. Aber andererseits: ich würde mir immer vorwerfen, leichtfertig die Chance auf "unter anderthalb Stunden" weggeworfen zu haben, und ich hatte ja keine Schmerzen, sondern war nur müde. Also lief ich weiter, das Tempo allerdings wieder verringernd (km 20: 4:16 min, km 21: 4:17 min). Ich war richtiggehend am Ende und hatte alles gegeben. Dazu paßte dann auch, daß mich so ein junger Schnösel (Altersklasse M30), den ich in diesem Augenblick kurzzeitig haßte, auf der Zielgeraden noch überholte. Ihr kennt sicher diese Typen: schlank, relativ klein, sehnig, gut aussehend, mühelos dahinschwebend, spurtstark, nie vor einem Wettkampf in der Umkleidekabine jammernd - einfach widerlich. Das war die Quittung für ein Rennen, das ich mir so schlecht wie keines meiner Rennen vorher eingeteilt hatte. Allerdings stand auf der Quittung auch noch mehr: eine Endzeit von 1:29:21 Stunden. Und das riß natürlich alles, alles, alles wieder raus. Trotz des ganzen Gegreines hatte ich mein Traumziel erreicht. Endlich kamen die Hormone, die ich dringend während des Laufs gebraucht hätte, und spülten zwar nicht die körperliche, aber die geistige Erschöpfung weg. Da machte es dann auch nichts mehr, daß es keine Medaille gab, die Duschen kalt waren, und ich in meiner Altersklasse M40 den undankbaren vierten Platz belegte.

Bemerkenswert ist übrigens die Kuchenversorgung nach dem Lauf. Für wenig Geld gab es prima selbstgebackenen Kuchen (und Bratwürste, aber über die wollen wir lieber den Mantel des Schweigens ausbreiten, denn sie waren knotig und eklig) und Kaffee. Einen Verzehrgutschein für ein Stück Kuchen und einen Kaffee gab es sogar mit den Startunterlagen. Da habe ich mich sinnlos mit Kuchen vollgestopft. Ich hatte es mir schließlich verdient. Überhaupt ging es mir nach dem Lauf überraschend gut. Satt, zufrieden und sehr lauffaul saß ich schmatzend und trinkend auf Stühlen und Bänken und triumphierte vor mich hin.

Natürlich habe ich bei diesem Wettkampf wieder einiges gelernt. Erstens: ich werde im nächsten Jahr nicht mehr so viele Wettkämpfe machen. Zweitens: Ich werde nicht unmittelbar vor einem Wettkampf mit einer neuen Trainingsart (hier: Krafttraining) beginnen. Drittens: Ich werde noch bewußter darauf achten, gleichmäßiger zu laufen. Viertens: Ich werde nie wieder vor einem Wettkampf jammern, und sei es auch nur leise für mich...


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