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Bericht

Name des Laufes:5. Volksbank-Münster-Marathon
mehr zum Lauf: VID2589
Datum des Laufes:10.9.2006 (Sun)
Ort:Münster
Plz:D4
Homepage:http://www.volksbank-muenster-marathon.de
Strecken:MA
Beschaffenheit:Asphalt, teilw. Kopfsteinpflaster
Profil:flach
Wetter:sonnig 15-20 °C
Teilnehmer:ca. 3600
Name des Berichtenden: ROB344-66/IIIa LID3114
Ulrich aus

Bericht vom 12.9.2006 (Tue)
Wann ich meinen letzten Marathon gelaufen bin? Am 10.09.2006 in Münster!

Der Mensch neigt zum Vergessen – mit der Zeit verblassen vor allem die negativen Erlebnisse und nur das Schöne bleibt. Wie anders ist es zu erklären, dass sich immer wieder eine nicht unwesentliche Anzahl von Läuferinnen und Läufern über die Marathonstrecke quält. Zugegeben – eine nicht weniger unwesentliche Läufermenge kommt auch locker über die 42,195 km.

Meinen nun vorletzten Marathon hatte ich 2001 in Stockholm hinter mich gebracht. Kurz davor – im Frühjahr 2001 war ich in der „Form meines Lebens“. Tragisch an der „ Form deines Lebens“ ist, dass du sie erst hinterher erkennst, wenn du sie nicht mehr erreichst. Wenn du in der „Form deines Lebens“ bist, meinst du es geht immer noch schneller. Damals bin ich den Halbmarathon in 1:23:56 gelaufen. Das müsste bei einem guten Marathonläufer für knapp unter 3 Stunden reichen. Ich bin dagegen mit 3:14 ankommen und nicht mal locker, sondern knapp am Kollaps vorbei.

Der nächsten Versuchung erlag ich dann 2003. Den vorbereitenden Halbmarathon schaffte ich noch in 1:28. Die langen Trainingsläufe förderten allerdings schon die Schwächen für das ganz Lange zu Tage – Kreislauf- und Magenprobleme der eher heftigen Art. Und so kam es, wie es kommen musste, und ich stieg in Dortmund trotz moderater Zielzeit von 3:30 bereits nach 30 km mit Kreislaufproblemen aus.

Zwischenzeitlich verheiratet, hielt ich mich sporadisch mit Läufen bis Halbmarathon über Wasser. Die Erinnerung wie es war, mal schneller gewesen zu sein verblasste, und ich konnte mir vorstellen, beim Marathon einfach nur mal so auf ankommen zu laufen. Das Frühjahr 2006 brachte noch einmal eine Halbmarathonzeit von unter 1:30, die ich mit intensiven Tempoläufen vorbereitet hatte und mit einer Überlastungsverletzung bezahlen musste. Da kam es mir gelegen, dass mir das Team ERDINGER Alkoholfrei einen kostenlosen Startplatz für den Münster Marathon ermöglichte. Günstiger geht es nicht. Mit dem Ausnutzen dieses menschlichen Mitnahmedenkens sind die Albrecht-Brüder unter anderem zu Milliardären geworden – man nimmt etwas mit, obwohl man es nicht unbedingt braucht, es aber günstig ist. Aber es schien mir logisch: Im Training auf die schmerzhaften Tempoeinheiten verzichten und einfach nur auf Ankommen trainieren.

Da weitere Läuferinnen und Läufer der LG Wuppertal teilnahmen, musste ich nicht allein hin fahren. Gemeinsamer Treffpunkt war sonntagmorgens schon um 6.30 Uhr, so dass wir mit viel Zeitpuffer ankamen. Der Parkplatz lag direkt am Start. Dirk hatte die Kleiderbeutel bereits am Tag vorher abgeholt. Daher brauchte ich die Sachen zum Duschen nur noch aus der Sporttasche in den Kleidersack packen und den Sack abgeben. Alles war gut organisiert und ausgeschildert. Na gut - die „Im letzten Moment großes Geschäft Macher“ müssen am WC immer etwas warten. Da alle anderen LGW Läufer auf schnelleren Zielzeiten unterwegs waren, machte ich mich allein auf in meinen Block. Treffpunkt sollte wieder um 14 Uhr am Auto sein – das müsste selbst ich schaffen – dachte ich! Nicht ganz vom Veranstalter so gedacht, aber sehr sinnvoll schlängelte sich die schnelle Elfe Jens als Startläufer der Mixed-Staffel durch meinen Startblock an die vorderste Front. Ich stand, noch mit meinen alten Zeiten gemeldet, in dem Block bis 3:30 ein wenig weiter vorne als notwendig war. So kam ich nach dem Startschuss nach ca. 30 Sekunden über die Startlinie – ein recht guter Wert. Die Temperaturen im Schatten waren erträglich (vielleicht 15°C) und die Luft klar. In der Sonne wurde es allerdings schnell warm und in Richtung Mittagszeit wärmer. Ich wollte ausdrücklich locker laufen, dass heißt das Tempo (5:15-5:30 min/km), welches ich schon auf langen Läufen um den Kemnader See geübt hatte. Am Anfang ging es etwas verwinkelt durch die Altstadt, dadurch lag die Strecke aber auch noch meist im Schatten. Zwischendurch waren einige Passagen mit Kopfsteinpflaster zu laufen, was sicher nicht jeden Läufer erfreute. Zuschauer waren trotz der 9 Uhr Startzeit reichlich an der Strecke. Ein wenig vor mir konnte ich überraschenderweise 2 LGW Trikots ausmachen. Andreas und Rolf waren also auch hier am Start. Bei km 16 musste ich mich für eine halbe Minute an einen Busch stellen. Als ich wieder auf der Strecke war, fand ich mich unmittelbar in der Gruppe mit den 3:45 Zugläufern wieder, bei der ich dann auch erstmal geblieben bin. Bei Halbmarathon kamen wir mit 1:52 durch. Da ich zumindest gleichmäßig durchlaufen wollte, sollte es jetzt schon eine 3:45 sein. Ich merkte nun, dass ich viele meiner zu wenigen Trainingsläufe nicht auf Asphalt absolvierte hatte und mir daher jetzt schon die Beine und Füße etwas wehtaten. Auf dem Stück in die münsteraner Vorstadt bekamen wir als schöne Abwechselung auf der Gegenfahrbahn die schnelleren Läufer sehen. Zunächst sah ich Andreas mit seiner Fahrradbegleitung, nicht so frisch und schnell wie gewohnt wirkend. Schnell und dynamisch war Lena für die am Ende siegreiche Mixed-Staffel unterwegs; indem ich sie gerufen habe, ist sie wohl kurz aus dem Rhythmus gekommen. Jürgen (2:58) als nächster hat mich dagegen nicht gehört; so lief er weiter konzentiert und sauber im Laufstil dem Ziel entgegen. Ein echter Marathonläufer – nimmt mir auf Halbmarathon 5 Minuten ab und verzehnfacht den Abstand auf der doppelten Strecke. Dirk dagegen habe ich nicht gesehen – der war so schnell (2:44), dass er zu dem Zeitpunkt schon fast im Ziel war. Corinna (3:20) war indessen noch nicht so weit. Die Getränkeversorgung war gut und reichlich. Alle 5 km ein richtiger Versorgungspunkt und dazwischen immer noch eine Erfrischungsstelle mit Wasser. Ab km 30 habe ich angefangen auch Cola zu trinken. Da ich dann auch begann, an den Getränkeständen im Gehen zu trinken, sind mir die 3:45 Zugläufer abhanden gekommen. Trotz meines lockeren Anfangstempos konnte ich auch bei diesem Marathon die Geschwindigkeit nicht halten und war schließlich auf der zweiten Hälfte 5 Minuten langsamer. Auf den schweren letzten Kilometern war noch mal richtig gute Stimmung an der Strecke. Ich sah dann endlich die Zieluhr und für einen kurzen Moment erwachte wieder der kleine Ergeiz für zwischendurch in mir; ich wollte auch Brutto unter 3:50 ins Ziel kommen.

Ein Marathon endet bei mir nicht im Ziel, sondern erst wenn ich zuhause bin. Eine Medaille habe ich noch umgehängt bekommen. Dann musste ich mich erstmal setzen; wegen der vollen Bänke auf das Kopfsteinpflaster. Meinen Kreislauf empfand ich nicht als so stabil und Durst hatte ich sowieso. Also hoch und zum Cola-Stand. Direkt daneben setzte ich mich mit meiner Cola wieder auf den Boden. Die Hände kribbelten. Sitzen war jetzt auch nicht mehr drin und ich musste mich hinlegen. Ein Helfer sprach mich an und ich sagte, dass es mir nicht so gut gehen würde. Es wurden die Helfer vom roten Kreuz geholt, die mich nach kurzer Einschätzung auf eine Bare umbetteten und mich abtransportierten. Meine Hände waren jetzt taub und verkrampft in Pfötchenstellung. Ich konnte nicht mehr richtig sprechen und hatte ein Gefühl, als wenn mir ein Kieferchirurg gerade eine Betäubung für eine Komplettentzahnung des Unterkiefers gesetzt hätte. Erst kam ich ins Zelt für die „leichten“, dann direkt in das für die „schwereren“ Fälle. Der Arzt sagte mir, dass ich Hyperventilieren würde, weil ich zu schnell und zu tief atme, obwohl ich das subjektiv anders wahrnahm. Ich bekam abwechselnd Sauerstoff und musste in einen Balg atmen. Gleichzeitig bekam ich eine Infusionslösung und ein Spritze zur Kreislaufstabilisierung. Relativ schnell ging es mir wieder besser. Wie mir gesagt wurde, ist das Hyperventilieren nicht schlimm und passiert häufig bei jungen Mädchen auf Konzerten, was mir in dem Moment dann auch schon nicht mehr peinlich war. Der Blutdruck stieg von 90 nach und nach auf 110. Blutzucker und Sauerstoff war dann auch in Ordnung.

Einer der freundlichen Rotkreuzhelfer hat sich sogar meine Startnummer geschnappt und mir das Finisher-Funktions-T-Shirt geholt. Da dies von ausgezeichneter Qualität ist, hätte ich auch ungern drauf verzichtet. Nun hatte ich aber schon die Uhr im Blick. Eine Handynummer der anderen hatte ich nicht parat – mein Handy lag in meiner Sporttasche im Auto. Meine Frau in Wuppertal anzurufen, hätte ohnehin nichts gebracht. Ich habe auch sofort gesagt: „Meine Frau darf das nicht erfahren, sonst darf ich nie wieder einen Marathon laufen“. Ich konnte den Arzt und die Helfer überzeugen, dass ich nur zum Parkplatz zurück müsse, und dann wieder sicher nach Hause käme. Zwei Helfer boten sich an, mit meiner Nummer meinen Kleiderbeutel zu holen. Das war keine so gute Idee, wie sich später zeigte, da die Rotkreuzler erst die Ausgabe suchen mussten und über 20 Minuten brauchten. Da war auch schon 14 Uhr durch. Als ich den Kleiderbeutel endlich hatte, marschierte ich Richtung Parkplatz.

Etwa eine viertel Stunde zu spät kam ich auf dem Parkplatz an. Von weitem sah ich bereits das Auto meiner Begierde ausparken. Zum Glück kam ich keine Minute später. Ich fasse es nicht – die wären echt ohne mich losgefahren; meine Tasche mit Geld, Handy, Schlüssel, Papiere und Wasser noch im Auto. Da bin ich noch mal knapp an einer kleinen persönlichen Katastrophe vorbeigeschrammt. Froh, nun im Auto Richtung Heimat zu sitzen, hatte ich allerdings keine Lust mir entsprechende Szenarien auszumalen.
[nachträgliche Anmerkung: Ich muss umständehalber halluziniert haben - natüürlich wäre man nicht ohne mich los gefahren]

Wieder zu Hause eingetroffen, fragte mich meine Frau, ob ich durchgekommen wäre. Gute Eröffnungsfrage, die ich wahrheitsgemäß beantworten konnte. Auch konnte ich versichern, dass ich zwar geschafft bin, aber es mir den Umständen entsprechend gut geht. Ich bin bei der Wahrheit geblieben – ein Erlebnis habe ich allerdings weg gelassen. Das blutbeschmierte Pflaster an der Stelle des Infusionseinstichs am Handgelenk habe ich elegant mit dem Ärmel meines Shirts überdeckt. Nach dem Duschen war auch diese letzte Spur verwischt.

Wenn Ihr also zufällig auf diesen Bericht stoßt – bitte sagt nichts meiner Frau. Denn – wann ich meinen letzten Marathon gelaufen bin, möchte ich dann doch selbst entscheiden.


Diese Seite ist zu erreichen unter www.kmspiel.de/?bericht=1643


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